von Maike Petersen
Dieser Blog-Beitrag ist die Fortsetzungsgeschichte von „Finden, das ist das völlig Neue“ – auch hier im
Traumkraftwerk erschienen. Ich schrieb ihn während meiner Zeit der Arbeitslosigkeit. Tatsächlich hat die Finde von damals noch über ein weiteres halbes Jahr gedauert: Dann hatte ich meinen
Job.
Ja und dann? Ist die Finde damit zu Ende? Was passiert mit einem, wenn man an einem neuen Arbeitsplatz anfängt? Was überwiegt – Freude und Erleichterung oder Frust und Verunsicherung? Kann man
sich eigentlich komplett neu erfinden? Was nimmt man von früher mit und was kann einem echt gestohlen bleiben. Mensch trifft auf Unternehmen: Sehr, sehr viele Fragen wollen in den ersten Monaten
beantwortet werden. Man nennt diese Phase so schön „Onboarding“.
Monat 1 - Staunen und die Sehnsucht nach Wissen
Was habe ich ihn herbeigesehnt, meinen ersten Tag an der neuen Arbeitsstelle! Vor allem bin ich neugierig, meinen Chef zu treffen. Kann nur hoffen, dass er genauso empathisch und freundlich ist wie beim Vorstellungsgespräch. Jenes fand ich bemerkenswert: Zwei Seelen haben sich getroffen, haben sich ineinander verwoben und in aller Aufrichtigkeit versucht herauszufinden, wer der andere ist und was sie aneinander haben. Drei Stunden war ich da.
Jetzt stehe ich vor der Tür. Ich bin dabei zu wechseln, von der Verlags- in die Pharmabranche. Wie ticken die Leute hinter dieser Glasfassade wohl? Ich habe keine Ahnung von Pharma und soll
morgen schon als wissenschaftliche Redakteurin munter texten und tüfteln. Konsequent weitergedacht dämmert mir noch etwas verwabert, dass ich auch noch nicht eine professionelle Texterin bin,
denn vorher tüftelte ich als Projektmanagerin. Mulmig.
Das ist dann auch gleich mein erster Job: meinen Willkommenstext fürs Intranet schreiben. Interessant! Nach einem kleinen Exkurs ins wohldienliche Zitateuniversum von Google schreibe ich:
„Liebe Kolleginnen und Kollegen,
die ersten Tage in einem Unternehmen haben etwas Feierliches: ein bisschen Magie hier und ein bisschen Aufregung da, viele strahlende Gesichter und vieles zum Staunen. Staunen ist extrem
spannend, zeigt es doch, dass Neuerlebtes auf Altbekanntes trifft. Das macht neu-gierig – warum ist das hier wohl so? „Das Staunen ist eine Sehnsucht nach Wissen“, formulierte Thomas von Aquin.
Der Staunende ist mit allen Sinnen offen für die faszinierende, unbekannte Information. Ich bin fest davon überzeugt, dass sowohl die Neuen als auch die früher Angekommenen in einem offenen
Austausch viel voneinander lernen können.
Und freue mich sehr darauf!“
Mein Chef gibt elektronisch Daumen hoch, den Schluss muss ich noch etwas anpassen…
Ich knalle meine Handtasche auf den noch kläglich-kahlen Schreibtisch, gleich neben die Milka-Herzchen-Pralinenschachtel. Wie nett! Mein junger Kollege grinst: „Revier markiert“. Eigentlich sind
alle jung hier, mit leicht über 50 ist das halt so. Die ersten Wochen versuche ich hauptsächlich herauszufinden, warum gerade ich eingestellt worden bin, was wohl die Erwartungen an mich sind und
wie ich die Gruppen ergänzen könnte.
Hochinteressant für mich – und den Handelnden gar nicht in ihrer Brisanz bewusst – ist, mit welchen Worten ich in die neuen Teams eingeführt werde: „Das ist unsere neue Lektorin. Die wird dafür
sorgen, dass unsere Texte schön werden.“ Oh wie monochrom! Ich kann doch viel mehr, ist das dem Haus nicht klar? Ich grüble, dass meine Wahrnehmung von mir und der Stelle mit der des Hauses
möglicherweise nicht übereinstimmt. Ich beschließe am Ende des Anfangsmonats, 1.) das Gefühl des Arbeitens erst mal wieder so richtig zu genießen, 2.) seelisch zu heilen von der Zeit der
Arbeitslosigkeit und dann schließlich 3.) zu zeigen, dass ich mehr kann als lektorieren und mir aktiv Einsatzfelder zu suchen, in denen ich auch mitmischen könnte. Schaffe ich mir doch selbst
meine neue Arbeitsstelle!
Monat 2 - Die Explorationsphase: Loslaufen, natürlich in alle Richtungen gleichzeitig
In der Pharmabranche muss man manches wissen, schließlich geht es um Arzneimittel und den atemraubenden Grad zwischen Gesundheit und Krankheit oder gar Tod. Dementsprechend lang ist die Liste meiner anstehenden Schulungen: unglaublich! Ich gehe hochmotiviert in jede und bin bereit, klug zu fragen und Superideen auf den Tisch zu werfen. Wie geschrieben: Ich will möglichst breit mitmischen. Also lasse ich mich länglich, leidenschaftlich und völlig dilettantisch aus über zu viskose Säfte, über optimierbare Messlöffel und wie man Stellenanzeigen schreibt, auf die die Bewerber einem die Bude einrennen. Alles geht. Habe immer ein Notizbüchlein dabei. Die Kollegen reagieren höflich. Bis auf eine andere Frau bin ich die einzige Branchenfremde in dem kleinen Rudel Neuankömmlinge. Der Rest weiß.
Keine eindeutige Antwort erhalte ich zu meiner großen Verblüffung auf Meiner Großen Suche nach Der Vision. Das ist ein Thema, das mir ungeahnt wichtig wird und wo ich mich richtig rein verbeiße.
Wofür steht das Unternehmen und wo will es hin? Mit Vision mehr Energie, mehr Fokus und mehr Motivation. So einfach ist das. Ich spreche mit „den ganz oben“, mache spontane Vorschläge, diskutiere
in Simple Past und Futur und kann sie trotzdem nicht festnageln. Ich überlege, dass es entweder zurzeit keine gibt oder es für wichtig erachtet wird, dass ich die große Vision selbst für mich
definiere.
Ganz cool gehe ich das Schreiben an. Was ist denn das für ein eigenartiger Ausdruck: „Verzehr von fünf Tropfen“? Tropfen verzehrt man doch nicht! Schnell mal umredigiert zu „Einnehmen“. Klingt
doch intuitiv richtig. Oh, immer öfter steht dann irgendwann mal jemand in der Tür und hat irgendein Anliegen an die Redakteurin. Nicht, dass sie Schlange stehen, aber meine Warnblinklichter
gehen langsam an. Für das Ende der Monats Zwei heißt es im Wesentlichen: Gleichgewicht finden zwischen bescheiden Klappe halten und Fragen bis zum Abwinken.
Monat 3 - Innehalten. Mehr Fokus. Mehr Vertiefung.
Die impulsive, etwas unsystematische Sturm-und-Drang-Phase beobachtet mein Chef nachsichtig. Ich werde von alleine langsamer, denn in Monat drei gerate ich immer wieder in kleine Krisen. Mein Problem: Um kreativ tätig sein zu können, braucht man massenhaft fundiertes Wissen. War mir vorher gar nicht klar. Ohne Wissen keine Schöpfung. Und um sinn- und wertvoll kreativ tätig sein zu können, braucht man gute Kenntnisse von der Domäne. Die eine oder andere meiner Ideen passt einfach nicht zu Pharma und vom Heilmittelwerbegesetz habe ich noch nie etwas gehört. „Hach Chef!“, jammere ich gedanklich, und in der Realwelt: „Ich laufe immer gegen Wände!“ Genauso fühlt es sich an.
Mein Chef hilft mir zu priorisieren und die Zeit im Blick zu behalten. Sehe ich mit Skepsis. Ich bin Frau-ohne-Uhr-und-sowieso-am-liebsten-im-Flow. Zeit ist nicht so wichtig. Ich reiße mich
zusammen; zunehmend landen herausfordernde Projekte auf meinem Schreibtisch.
In Monat drei merke ich, dass ich der Zahl entsprechend runde drei (!) Kilo zugenommen habe. Sozusagen linear und daher mit absehbarer Weiterentwicklung. Das regelmäßige Essen in der Kantine
bekommt mir physisch nicht, so sehr es auch psychisch zu meiner Gesundhaltung beiträgt. Monat drei hat es in sich: Die Abteilung versinkt in Hektik und saisonaler Arbeitsamkeit. Die Stimmung wird
deutlich anders. Keiner hat Zeit. Ich fühle mich plötzlich immer noch unintegriert und fange an zu hadern wegen all der Sackgassen, in die ich bis jetzt schon gelaufen bin, und all der unzähligen
Pharmadetails. Den bekannten, die ich mehr oder weniger erfolgreich lerne und –grauenvoller noch – all den unbekannten, die ich noch gar nicht mitbekommen habe.
Dieser Abschnitt im Onboarding wird „Konfrontationsphase“ genannt. Die eigenen Vorstellungen aus der „Antizipatorischen Phase“ vor der Einstellung werden immer wieder abgeglichen mit der Realität. Das Unternehmen wirkt sozialisierend auf den neuen Mitarbeiter ein, will Werte vermitteln und ihn integrieren. Gleichzeitig will der Neue aber auch durch „Individualisation“ herausstechen und eigene Vorstellungen einbringen. Dieses Spannungsfeld habe ich deutlich wahrgenommen.
Monat vier - Akzeptanz und plötzlich kehrt Ruhe ein
Das Magische Wort heißt „Geduld“. Die Firma hat mich erlebt und ich die Firma, baff. Jetzt brauchen wir beide mal eine Pause: Reflexion ist angesagt und Zentrieren, zumindest auf meiner Seite. Das erste große Feedbackgespräch mit meinem Chef läuft gut. Ich stelle fest, dass er viel mehr von mir mitbekommen hat als ich dachte. Ich beschließe zu vertrauen und einen Gang zurückzuschalten. Ich werde mit der Chronik der Firma beschäftigt, ein wundervoller Auftrag zum Einstieg und hoch interessant. Mit Freude stelle ich fest, dass meine Gedanken an die alte Arbeitsstelle und die lange Zeit ohne Arbeit mehr und mehr verblassen. Das interpretiere ich positiv als Heilung.
Neu erfinden kann man sich auf einer neuen Stelle nicht. Optimaler Weise docken die neuen Anforderungen ja auch an den alten Stärken an. Aber man kann sehr wohl andere Fähigkeiten und Ressourcen
freilegen und fördern, und zwar ganz bewusst, mutig und aktiv. Das können zum Beispiel Kreativität, Flexibilität und Resilienz sein. Wie auch in der Zeit der Arbeitslosigkeit übt man das
emotionale Pendeln, was einen mental stärker macht. Phasen des Frusts, des Zweifels und der Ängstlichkeit müssen immer wieder überwunden werden, was mit Freude, Flow und Stolz belohnt wird. Eine
Menge will verarbeitet werden in den ersten Monaten.
Wenn man achtsam ist, lernt man in dieser Phase wirklich viel über sich selbst.
Viel Vergnügen dabei!
Martina Frahn (Samstag, 31 Dezember 2016 19:10)
Wow! Danke!
Ein wirklich toller Artikel mit einer so nachvollziehbaren Ein- und Umgewöhnung. Das ist einer der wundervollen Vorteile, die das Alter und die Erfahrung mit sich bringen: man schafft es zu reflektieren und bei aller Hektik, Eile und auch Ehrgeiz irgendwann wieder sich selber zu reflektieren und ruhig und gelassen zu werden.
Diesen Artikel werde ich meinen Kundinnen, die so oft an sich zweifeln, empfehlen. So haben sie ein Vorbild, das Ihnen die Umstellung erleichtern kann. Oder sie zumindest ermuntert, positiv die nächsten beruflichen Schritte zu gehen.
Unabhängig vom Alter